Christoph Huber „fipresci.org“
Andrea Winklbauer „artmagazine.cc“
Olaf Möller „senseofcinema.com“
DIAGONALE materialien 023
26 beständig wachsende Variationen innerhalb einer konsequent zugespitzten Dramaturgie: die Chronologie eines Verschwindens in Einsamkeit und Architektur. Eine junge Frau wacht 26 Mal anders morgens auf und ist einsam, 25 Mal geht sie immer ein bisschen anders in die Küche vorbei an ihrem „Partner“ – und ca. 23 Mal betrachtet sie Spongebob im Fernsehen -, bis sie einmal nicht mehr da ist; nur Beton und Struktur bleiben, davor ein altes Gesicht, Schwiegen und die kurz die Ahnung von etwas Anderem. Norbert Pfaffenbichler inszeniert sein Langfilmdebüt, eine Wiederaufnahme von Robert Frank´s OK End Here (der selbst von einer Erfahrung Antonionis ausging). Jede neue Szene ist eine weiter Überlegung zum Verhältnis von Kino und Leben. Ein streng metrisches Poem/Traktat über die Freiheit, das Schlenkern im System, das Gefühl des Augenblicks, die einzigartigkeit eines jeden Lebens, wie verpfercht es auch sein mag. Der schönste, reichste, erhabenste österreichische Film 2006, zu sehen auch als eine krasse Kritik am aktuellen Kino der Zufälle und Schicksalhaftigkeiten.
(R.H.)
RE-MODERN: DIFFERENZ UND WIEDERHOLUNG IM BEZUGSSYSTEM VON NOTES ON FILM 02
NOTES ON FILM 02 ist ein Konzeptfilm. So wie bei allen bisherigen filmischen Arbeiten Norbert Pfaffenbichlers steht auch in hier das formale Experiment im Zentrum der Herangehensweise des Künstler an das Medium.
NOTES ON FILM 02 besteht aus 26 kurzen Szenen, die lose Ausschnitte aus dem Beziehungsleben eines heterosexuellen Paares zeigen. Zusammen würden diese 26 Szenen einen knapp 10 minütigen Kurzfilm ergeben und sich damit auch in der Länge jenem Film annähern, auf den sich der Film schon im Eingangstitel klar bezieht, nämlich inspiriert worden zu sein von Robert Franks kurzer Studie OK END HERE aus dem Jahr 1963.
Das wesentliche an NOTES ON FILM 02 ist nun allerdings, dass diese 26 Szenen – jeweils als Plansequenz gedreht – nach einem strengen alpha-numerischen Wiederholungs-Prinzip geordnet sind. Nach jeder neuen Szene beginnt der Film quasi wieder von vorne, ähnlich einem Spiel in der ehemals beliebten Quizsendung Dalli Dalli, in dem die Spielpartner gemeinsam einen sinnvollen Satz bilden mussten und jeder diesen allerdings immer zuerst von Beginn weg wiederholen musste, bevor er ihn um ein neues Wort verlängern konnte.
Dieses im Grunde einfache Schema verfolgt auch NOTES ON FILM 02. Allerdings handelt es sich hier nicht um simple Wiederholungen des immer gleichen. Tatsächlich sehen wir nicht die selbe Szene noch einmal. Vielmehr wurde jede einzelne Einstellung immer wieder aufs Neue inszeniert und gespielt und ergibt dadurch stets eine Variante zu dem davor gesehenen.
Durch seinen seriellen Charakter ist NOTES ON FILM 02 das Hybrid eines strukturellen Films mit narrativen Elementen. Insofern schließt Pfaffenbichler an den nordamerikanischen Avantgardefilm seit den 60er Jahren und dessen Spielarten der Verflechtung von Erzählkino und strukturellem Film an. Inspirierend mögen dabei Arbeiten von Hollis Frampton, Michael Snow, Andy Warhol und anderen gewesen sein.
Pfaffenbichler macht zugleich auch kein Hehl daraus, das sein Film auf der inhaltlichen Ebene eine Referenz an die Klassiker der späten europäischen Kino-Moderne ist, im speziellen an die französische Nouvelle Vague und den italienischen Neorealismo. Da werden in Godardscher Manier stumme Dialoge mittels Filmpostkarten ausgefochten, Pfaffenbichlers Protagonist zitiert mit Bemondo-Hut in der Badewanne Hauptwerke der Frankfurter Schule, seine Protagonistin findet sich eingerahmt in Glas und Beton oder streift wie Monica Vitti oder Jeanne Moreau bei Antonioni durch die moderne und überwiegend menschenleere Hochhausarchitektur des Viertels.
Diese offensichtlichen Zitate stehen in keinem Widerspruch zu dem Umstand, dass der eigentliche Bezugsfilm für NOTES ON FILM 02 ein kurzer Film des nach Amerika ausgewanderten Schweizer Fotografen und Filmemachers Robert Franks ist. Zu sehr ist nämlich auch dessen OK END HERE selbst eine Referenz an das Kino Michelangelo Antonionis, das Frank hier ins New York der Beat-Generation transferierte.
Vielmehr scheint dieser „konzeptionelle Umweg“ über den Referenzfilm eines Referenzfilms grundlegend in Pfaffenbichlers Idee von Differenz und Wiederholung verankert zu sein. „Im Trugbild“, wird Deleuze von Pfaffenbichler zitiert, „beruht die Wiederholung bereits auf Wiederholungen, beruht die Differenz bereits auf Differenzen.“ Oder anders und etwas simpel gesagt: auf der erzählerischen Ebene wiederholt NOTES ON FILM 02 als Variante die Geschichte von OK END HERE, das seinerseits bereits in Elementen eine bewusste Replik auf Erzählstränge in Antonionis Filmen LA NOTTE und L’ECCLISSE ist.
Pfaffenbichlers Zugang ist hier auf einer primären Ebene die Hinterfragung der durch filmische Konventionen und kommerziellen Druck auferlegten permanenten Wiederholung des Erzähl-Kinos als Varianten seiner selbst.
Speziell mit seiner so genannten Tetralogia dei Sentimenti (Tetralogie der Gefühle: L’AVVENTURA 1959, LA NOTTE 1960, L’ECCLISSE 1962, IL DESERTO ROSSO 1964) schrieb Antonioni Filmgeschichte, als er sich damals über alle gängigen Konventionen der Dramaturgie und Mise-en-Szene hinwegsetzte. Seine Filme sind gekennzeichnet von oft minutenlangen Einstellungen menschenleerer Straßenzüge und industriellen Brachlandes oder schier endlosen Schwenks über karge Felslandschaften oder moderne Häuserfassaden.
Das Thema, dem sich Antonioni in diesen Filmen stellte, war die Frage der Entfremdung des modernen Menschen zu seiner Umwelt. Seine Figuren (im Zentrum stehen bei Antonioni meist die weiblichen Charaktere) stehen immer am Rand existenzieller Krisen, sind ökonomisch wohl versorgt, aber innerlich rastlos. Dem entsprechend befinden sie sich in permanenter Bewegung, sie irren oft ziellos durch entleerte Gegenden, finden sich zwischen mächtigen Stahlbetonfassaden einer urbanen Vorstadt oder zwischen rauch- und nebelverhangenen Industrieanlagen. Sie leben in gescheiterten Beziehungen, fühlen sich nicht verstanden und finden kaum mehr Worte für ihre Partner.
Antonioni arbeitete in seinen Filmen konsequent mit temps morts, leeren Zeiten, in denen die Handlung für einen Augenblick völlig suspendiert erscheint, in denen das Bild, der Raum selbst und die darin befindlichen Objekte zum Ereignis werden.
Filmkritiker und –theoretiker haben diesem Stil Antonionis das Attribut eines Inneren Realismus zugeschrieben und den daraus entstandenen Bildern eine transzendente Qualität jenseits der Dramaturgie des Films.
Eine ähnliche Funktion haben in Antonionis Filmen die objets trouvés, dokumentarische Fundstücke, die auf ein Jenseits der Narration verweisen, wenngleich sie stets sehr präzise in den Verlauf der Handlungen integriert sind. Zufälligkeiten des Realen, die durch ihre Komposition im Film mit Bedeutung versehen werden: verlassene Dörfer, Wirbelstürme über dem Meer, angehäuftes Baumaterial im urbanen Brachland und dgl.
Der Stil der Tetralogie brach solcherart mit den bis dahin üblichen Praktiken ökonomischer Erzählweisen und stieß damit beim Publikum bisweilen auf offenes Unverständnis. Antonioni jedoch begriff das Kino als ein über das Moment des Erzählens hinausgehendes Instrumentarium der Analyse der modernen bürgerlich-urbanen Gesellschaft der Nachkriegszeit.
Robert Frank entnahm für OK END HERE von Antonioni den Moment der Sprachlosigkeit, die die Beziehung zwischen den Personen zu beherrschen scheint und machte diesen Moment zur Essenz seines eigenen Films.
Ein junges Paar schlägt sich die Zeit tot mit ziellosen Handlungen, gelangweilt voneinander und von seiner Umgebung. Die Gesten und Bewegungen laufen ins Leere, die Gespräche, die begonnen werden, scheinen jeweils mehr an sich selbst als an den anderen gerichtet.
Der enervierende Lärm des Fernsehers bestimmt die träge Atmosphäre, Gäste werden empfangen, Small-Talk wird geübt. Gegen die Ereignislosigkeit der Erzählung setzt Frank eine erstaunlich bewegliche Kamera und eine fast nervöse Montage. Später begibt sich das Paar auf einen Spaziergang durch die Stadt, um mit Bekannten in einem Restaurant zu essen. Die Einstellungen während des Spazierganges sind gegenüber den Innenaufnahmen beinahe fotografisch komponiert, geometrisch streng gezeichnete Plätze mit kubistischen Objekten und geradlinigen Säulenreihen. Bei Antonioni dienen solche (Stadt)Landschaften bisweilen der Visualisierung innerer Gefühlszustände und auch in OK END HERE scheint der Gang durch die Architektur Klarheit in den Erkenntnisprozess zu bringen. Ohne Wehmut resümiert die Hauptdarstellerin: „I don’t love you. I love what is familiar. You are not familiar to me.“ Danach begeben sie sich wieder auf den gemeinsamen Weg nach Hause.
Pfaffenbichler reduziert das Beziehungsgeflecht seines Film-Paares noch einen Schritt weiter. So gibt es überhaupt nur mehr einen einzigen gesprochenen Satz, der auf eine verbale Interaktion zwischen den beiden Protagonisten hindeutet. „Sprich mit mir“ fordert die Frau in der ersten Szene, die zugleich jene Szene ist, die aufgrund des Montagekonzept in unterschiedlichsten Intonationen die häufigste in NOTES ON FILM 02 sein wird. Noch 25 weitere Male wird die Darstellerin im Verlauf des Films diesen kurzen Satz formulieren. Mit zunehmender Häufigkeit löst er sich jedoch mehr und mehr von der Person, die ihn ausspricht. Es gibt kein Gegenüber mehr, an das sich diese Aufforderung richten könnte.
Der narrative Kontext, in dem sie zu Beginn noch gestanden ist (die Krise der Kommunikation eines Paares, das sich nichts mehr zu sagen hat) verschiebt sich zugunsten der formalen Zur-Schau-Stellung, dass Filme machen nicht nur ein technisches Unterfangen ist sondern ein permanenter Entscheidungsprozess. Darauf weist NOTES ON FILM 02 hin: Ein Film entsteht zu einem wesentlichen Teil am Schneidetisch (bzw im Schnittprogramm des Computers). Die Cutterin, der Cutter wählt aus einer Anzahl an Aufnahmen einer Szene letztlich jene aus, die im Film bleibt. Pfaffenbichlers Konzept einer permanenten Aneinanderreihung ähnlicher aber nie gleicher Wiederholungen der immer gleichen Szenen, delegiert diesen Auswahlprozess an sein Publikum oder möchte diesen Prozess (als eine Grundbedingung des Erzählkinos) zumindest sichtbar machen.
Bei Robert Frank verlässt die Kamera die Protagonisten immer wieder, um sich selbst auf eine ziellose Suche zu begeben und damit die Grenze zwischen erzählter, also fiktiver und dokumentierter, also „realer“ Welt zu verwischen. Bei Pfaffenbichler bleiben die Protagonisten unentrinnbar eingespannt in das Korsett der seriellen Montage, die sie zwingt, immer und immer wieder die permanente Wiederholung ihrer Handlungen und Bewegungen zu durchlaufen, um diese schonungslos als zutiefst konstruiert zu enthüllen.
In diesem Zusammenhang ist es freilich auch kein Zufall, in Pfaffenbichlers Konzept auch einen kleinen ironischen Kommentar auf Antonioni und Frank und deren Verwendung von „objets trouvés“ als Referenzen einer realen Welt außerhalb der im Film erzählten Geschichte zu finden: eine der lezten Szenen von NOTES ON FILM 02 zeigt das Portrait einer alten Frau auf der Strasse, eine Person, die mit den handelnden Figuren und der erzählten Geschichte ganz offensichtlich in keinerlei Beziehung steht. Ein zufälliges, ein dokumentarisches Bild, möchte man also meinen. Doch auch dieses „gefundene Objekt“ ist eingespannt im Spiel der Wiederholungen und Differenzen, muss der Serie entsprechend konsequenterweise noch ein weiteres mal ins Bild treten und sich damit selbst als ebenso inszeniertes Moment wie alle anderen entlarven.
Mit einem recht geringen Budget produziert, machte Pfaffenbichler aus der Not eine Tugend. Anstelle des ursprünglich geplanten Studios wurde ein Appartement am Wienerberg angemietet, anstelle einer Referenz auf Godards ALPHAVILLE entschied sich der Regisseur für den Film Robert Franks, der den Bedingungen am Drehort näher kam. Und Dariusz Kowalski liefert hinter der Kamera bisweilen atemberaubend schöne Bilder, die in bester Antonionischer Tradition stehen, während Bernhard Langs musikalische Kompositionen in ihrer Zurückkhaltung und Dezenz eine gelungene akustische Entsprechung zum Minimalismus in der Erzählung erreicht. Das allein kann als Hinweis genügen, dass NOTES ON FILM 02 nur scheinbar ein spröder Film ist.
Was sich hier mannigfaltig präsentiert, ist – neben des Filmemachers offensichtlicher Vorliebe für die TV-Cartoon-Serie SPONGE BOB – eine intensive Bezugnahme auf verschiedene Traditionen der (filmischen) Moderne. Daraus schöpft der Film seine vergnüglichen Qualitäten, die er trotz mancher durch die Wiederholung provozierter Durststrecken entwickelt.
(Gerald Weber)