ABSTRACTION NOW

Vom Tafelbild zum Rechenprozess
Anmerkungen zum Phänomen Abstraktion in der Gegenwartskunst

Katalogtext/Catalogue text, 2003
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EINLEITUNG

Mit dem Terminus Abstraktion wird in der Kunst kein einheitlicher Stil bezeichnet, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene, deren kleinster gemeinsamer Nenner darin besteht, auf die Wiedergabe einer äußeren Realität zu verzichten. Im 20. Jahrhundert sind eine Reihe von unterschiedlichen Ismen entwickelt worden, die mehr oder minder radikal die Abbildfunktion hinter sich gelassen haben und eine formale Autonomie und die Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten angestrebt haben. Abstraktionsprozesse anzuwenden ist prinzipiell in jedem Medium möglich, jedoch mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Die Motivationen der KünstlerInnen sind vielfältig, sogar konträr und reichen von spirituellen und meditativen Ansätzen über das Interesse am rein formalen Gestalten bis hin zu mathematischen Konzepten und programmiertechnischen Experimenten. Aufgrund der Fülle der Erscheinungsformen ist es weder möglich noch sinnvoll ein globales Erklärungsmodell für sämtliche nonrepräsentative Ausdrucksformen zu suchen.

Im folgenden Beitrag wird der Versuch unternommen, einige Begriffsklärungen zu diversen Aspekten der abstrakten Gegenwartskunst vor zu nehmen. Anhand dieser Anmerkungen gliedert sich der Text in kurze zusammenhängende Kapitel.

DAS ABSTRAKTE BILD

Ein Bild ist eine zweidimensionale Darstellung auf einer begrenzten Fläche. Es ist ein Objekt das dem Zweck der Anschauung dient. Die Art der Generierung (manuell, mechanisch, chemisch, elektronisch, digital), das Trägermaterial und eventuell intendierte optische Täuschungen wie z.B. perspektivische Raumillusion oder scheinbare Bewegung sind für diese Definition nicht relevant.

Eine gegenständliche Darstellung gibt vor noch etwas anderes als ein bloßes Bild zu sein, in dem es die sichtbare Erscheinung von beliebigen außerbildlichen Objekt imitiert. Es handelt sich dabei um eine Illusion, eine optische Täuschung. Ein abstraktes Werk behauptet im Gegensatz zum illusionistischen Abbild nicht etwas anderes, abwesendes, vergangenes zu sein. Es steht in erster Linie für sich selbst und ist somit immer aktuell und zwangsläufig selbstreflexiv und anti-illusionistisch.

Thema von abstrakter Kunst sind Relationen; sowohl die Verhältnisse der Elemente innerhalb der Bildfläche (Farbe, Form) als auch das Verhältnis der Bildflächen zueinander und zum Raum, also zum Betrachter/Benutzer. Beim bewegten Bild (Film, Video, Computeranimation) wird dies um den Faktor der Bild/Zeit-Relation erweitert. Generative, inter- und re-aktive Computerprogramme stellen einen relativ jungen Sonderfall im Feld der Abstraktion dar und werden weiter unten näher behandelt.

Sowohl für das nonrepräsentative Stand- als auch für das Bewegungsbild gilt: die abstrakte Darstellung referiert immer auch auf sich selbst und daraus folgend auf die Bedingungen der ihr eigenen Existenz. Verhandelt werden also die Konventionen und daraus folgend die Zustände von Darstellbarkeit in den diversen (Bild-)Medien. Die angewandten künstlerischen Methoden können dabei mehr oder minder originell oder universell sein. Ein abstraktes Werk zeichnet sich dadurch aus, dass es auf seine Objekthaftigkeit insistiert und Symbolfunktionen vorderhand verweigert. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, das im 20. Jahrhundert große Anstrengungen unternommen wurden, das Tafelbild in seiner tradierten Funktion zu überwinden.

REFERENZSYSTEME

Aufgrund der Selbstreferientialität ist abstrakte Kunst unter anderem „Kunst über Kunst“ und nur in diesem Kontext sinnvoll. Darüber hinaus sind aber auch mit den Mitteln der Abstraktion Querverweise, Zitate und dergleichen möglich. Weder eine Präsentationsform noch ein bestimmter Präsentationsort sind neutral, genau so wenig wie das Herstellungsverfahren, das Format, das Material, die Formen und deren Farben etc.

Während der Hochblüte der abstrakten Kunst herrschte das Ideal der völligen Autonomie des Kunstwerks und dessen Mittel vor. Jegliche historische, psychologische, inhaltliche, etc. Interpretation wurde abgelehnt. Einige zeitgenössische Künstler beschreiten einen anderen Weg und versuchen bewußt mit den Mitteln der Abstraktion vielschichtige Referenzsysteme und Assoziationsräume aufzubauen. Neben dem Verhältnis zur Kunstgeschichte werden vor allem die gegenwärtige visuelle Kultur der Massenmedien, der urbanen Lebensumwelt und die diversen Benutzeroberflächen der Digitaltechnologie aufgegriffen und verarbeitet.

Undogmatisch und mit bemerkenswerter ästhetischer Sensibilität und formaler Intelligenz bedienen sich diese Künstler des Kanons der abstrakten Kunst um damit unter anderem auch das Verhältnis der Moderne zur Gegenwart zu thematisieren. Es handelt sich nicht mehr um abstrakte Kunst per se sondern um „Kunst über abstrakte Kunst“. Abstraktion ist demnach zugleich Methode und Thema dieser Arbeiten. Ein historischer Königsweg zur Gegenstandsfreiheit bestand darin, die bildnerischen „Mittel als Zweck“ zu definieren. Durch die hier beschriebene gegenwärtige, vorsätzliche Kontextualisierung nonrepräsentativer Kunst wird diese wiederum zum „Mittel zum Zweck“, oder anders formuliert zum “Bild-Symbol”. Abstraktion wird also einerseits um das Moment der intendierten Interpretierbarkeit erweitert, verliert dadurch aber andererseits eine ihrer ursprünglich konstituierenden Säulen, nämlich die des absoluten Autonomieanspruches des Kunstwerks, das keinerlei Symbolfunktion inne hat. Das Werk verweist also nicht nur mehr ausschließlich auf sich selbst (und somit auf die Konventionen von Darstellbarkeit), sondern darüber hinaus noch auf eine Reihe anderer Faktoren, die im Werk selbst nicht sichtbar sind, aber mit gedacht werden müssen um es vernünftig – im Sinne der KünstlerIn – interpretieren zu können. Im Rahmen dieses perfiden Spieles wird der Kanon der abstrakten Kunst unter anderem herangezogen um damit Repräsentations- und Institutionskritik zu betreiben. Die hier beschriebene – typisch postmoderne Taktik – der strategischen Kontextualisierung von Abstraktion wird hauptsächlich von Künstlern im Sektor der bildenden Kunst angewandt und ist im Bereich den „Neuen Medien“ kaum zu finden.

MASCHINENASTHETIK

Wurde von der Avantgardebewegungen der ersten Moderne die Maschine idealisiert, so ist heutzutage oftmals gerade deren Dysfunktion von künstlerischem Interesse. Diese Strategie bezieht sich sowohl auf analoge als auch auf digitale Technologien, deren Verschwinden früher oder später befürchtet wird. Geradezu akribisch werden die typischen Kennzeichen des vermeintlich Authentischen und Materiellen am Mechanischen und Elektronischen – wie z.B. das Knistern und Knacksen von Vinylschallplatten oder Staub und Kratzer auf Filmrollen – gesammelt um künstlerisch verwertet werden zu können. Aber auch digitale Computersysteme sind weit davon entfernt fehlerlos zu sein, so daß die Resultate von Systemabstürzen, Programmierfehlern und dergleichen als Ausgangsmaterial für vielfältige künstlerische Äußerungen herangezogen werden. Im Fehler offenbart sich unbeabsichtigt der zugrundeliegende Code in ästhetisch verwertbarer Form. Sind diese mehr oder minder zufällig aufgetretenen Phänomene erst einmal lokalisiert und archiviert, werden sie je nach Intention und Methode des Künstlers verarbeitet. Dieser Ansatz impliziert, wie auch immer die Ergebnisse gestaltet sein mögen, bereits die Kritik am Medium innerhalb desselben und mit den Mitteln desselben. Abstraktion entsteht in diesem Fall unweigerlich als Folge von maschinellen Dysfunktionen und Materialeigenschaften wie Abnutzungs- und Verfallserscheinungen.

DAS DENKBARE

Bemerkenswerter Weise findet die (Rück-)Besinnung auf die Gegenstandslosigkeit historisch betrachtet an jenem Zeitpunkt statt, an dem die digitalen Simulationstechnologien nahezu perfekt geworden sind. Hypothetisch läßt sich alles Denkbare mithilfe der Digitaltechnologie visualisieren. Die Limitierungen liegen nicht mehr im Bereich der technischen Umsetzbarkeit, sondern sind beim menschlichen Intellekt und Vorstellungsvermögen zu suchen. Eine weitere Strategie im Umgang mit der maschinengestützten Gestaltung besteht darin „undenkbare“ Bilder und Bildfolgen zu generieren. Durch den Einsatz verschiedenster technischer Hilfsmittel werden Bildwelten freigesetzt, die ohne diese Mittel durch bewußte Gestaltung nicht entstehen könnten.

SPIEL / INTERAKTION / ABSTRAKTION

Spielen bedeutet sich freiwillig einem vorbestimmten Regelsystem zu unterwerfen, dieses als Handlungsanweisung zu akzeptieren und weiters eine Tätigkeit auszuüben, die nicht unmittelbar zweckgebunden ist und dabei – im besten Falle – vom Spieler als lustvoll empfunden wird. Spielen ist – vor allem im Kindesalter – immer auch Lernprogramm und Realitätsverarbeitungsmethode. Spielen impliziert eine bestimmte Form von Interaktion, wobei sich diese nicht notwendigerweise auf menschliche Mitakteuere beziehen muß. Ein Spieler kann bekanntermaßen auch gegen sich selbst oder autonome (analoge oder digitale) Regelsätze antreten. In diesem Sinne sind das Spiel und die Kunst wesensverwandte Disziplinen.

Das Spiel an sich ist aber keineswegs alleiniger Zweck abstrakter inter- bzw. reaktiver Computeranwendungen. Diese partizipatorische Methode birgt potentiell den Aspekt des Antiindivdualistischen in sich; also die Idee eines universalen Kunstwerks in dem keine persönliche Handschrift des Herstellers nachzuweisen ist. Der Künstler produziert Möglichkeitsformeln; erst durch die Benutzung wird das Werk aktualisiert. Interaktivität kann auch als die prinzipielle Anerkennung des prozessualen Charakters moderner Kunst in Werkform angesehen werden. Interaktive gegenstandslose Anwendungen sind darüber hinaus anschauliche und praktische Modelle für eines der konstituierenden Paradigmen der Moderne, wonach ein Werk erst in der Betrachtung letztendlich zum Kunstwerk wird. Der Betrachter mutiert zum Benutzer und wird somit faktisch und praktisch zum Mitschöpfer. Ob, wann und in welchen Zustand ein solches Werk vollendet ist, bleibt eine Frage die aufgrund der Fülle der möglichen Ausformulierungen nur im Speziellen beantwortet werden kann.

Die Möglichkeiten inter- bzw. reaktive Anwendungen sind im Prinzip davon unabhängig ob die Bildelemente illusionistisch oder abstrakt gestaltet sind. Da bei gegenstandsfreien Applikationen Benutzeroberflächen im herkömmlichen Sinn jedoch meist fehlen wird die Navigation selbst zum Bestandteil der Komposition. Die bestehenden Konventionen von der Benutzbarkeit digitaler Daten und die dahinter stehende Logik werden thematisiert und experimentell erprobt. Die auslösbaren Ereignisse und modulierbaren Parameter sind für den Benutzer oft unvorhersehbar. Nur durch „Trial and Error“ kann sich der User mit der Zeit in den komplexen Arbeiten zurechtfinden. Das Moment der intentierten Veränderlichkeit der Werke durch die Anwender stellt einen Paradigmenwechsel in der künstlerischen Produktion dar. Die Künstler geben einen gewissen Handlungsrahmen vor und definieren die ästhetischen Parameter innerhalb derer sich der Benutzer bewegen kann; das Werk selbst ist eine Variable.

GERNERATIVE PROGRAMME

Bei generativen Anwendungen verhält es sich ähnlich, jedoch benötigen diese kein Inputsignal. Spezifische Programme steuern sich und somit den visuellen Output autonom. In Bruchteilen von Sekunden können immer neue Bildaktualisierungen errechnet werden. Häufig handelt es sich dabei um Applikationen die mit kalkulierten Zufällen, mathematischen Formeln, Wachstumsalgorithmen oder dergleichen operieren um Bildwiederholungen prinzipiell auszuschließen; d.h. jedes aktuelle Bild, das der Betrachter zu sehen bekommt, ist unvorhersehbar und unwiederholbar. Der optische Variantenreichtum ist potentiell unendlich oder zumindest derart vielfältig, dass unzählige Menschenleben nicht ausreichen würden, alle möglichen Permutationen, die solche Anwendungen hervor bringen können zu rezipieren. Diese digitalen Bilder sind in permanenter Bewegung, sie befinden sich in einem unablässigen Generierungsprozeß. Trotz der Tatsache der Bewegungsillusion sind diese algorithmischen Werke keineswegs „filmisch“; sie sind weder linear noch illusionistisch, es gibt keine definierte Dauer und die errechneten Bildfolgen sind meist nicht wiederholbar. Beim visuellen Output der generativen Anwendungen handelt es sich um abstrakte „Tableaux Vivants“, um virtuelle, visuelle Vitalitäten. Das Bild ist in den Status eines autonomen, in sich geschlossenen Prozesses getreten.

TON / BILD / BEWEGUNG

Bewegungsbilder treten gegenwärtig beinahe ausschließlich in Kombination mit Ton auf. Musik ist ein Sonderfall des Tons. Sie ist per Definition die willentliche Organisation von Klang in der Zeit – und im Raum – sowie ein Bewegungs-Bild die willentliche Organisation von Formen auf einer Fläche – in der Zeit – ist. Musik gilt als die abstrakteste unter den Künsten und doch wirkt sie am unmittelbarsten auf die subjektive Befindlichkeit ein. Sie war von jeher ein starker Impulsgeber für nonrepräsentative Darstellungsformen, sei es durch den oftmals unternommenen Versuch Klänge in Farben zu übersetzen, oder die Übernahme diverser Reihenschemata und Kompositionsregeln, und dergleichen. Der künstlerische Akt liegt in der Interpretation, der Transcodierung des Hörbaren ins Sichtbare, der Materialisierung des immateriellen Klangs, der Wandlung von Klangfolgen in Bewegungsbilder. Die Visualisierung von Klängen, Klangeigenschaften und deren Organisationsformen führt meist zu abstrakten Bildformationen als Produkt eines synästhetischen Prozesses.

ABSTRAKTIONSPROZESSE IN DEN BEWEGTBILDMEDIEN

Bekanntermaßen ist die Kunst der bewegten Bilder keineswegs mehr auf das Medium Film beschränkt. Das Übergangsmedium Video und vor allem die Digitaltechnologie haben die Möglichkeiten der Bewegtbildproduktion und -präsentation exponentiell erweitert. Die Medien mögen andere sein, die Problemstellung ist im Prinzip nach wie vor die gleiche: Die Strukturierung von Zeit durch die Organisation visueller Elemente auf einer Fläche. Im Folgenden wird versucht, Abstraktionsprozesse in den Bewegtbildmedien Film, Video und Computeranimation zu erläutern und zu kategorisieren. In der Praxis sind Mischformen aus den nachstehend beschriebenen Methoden selbstverständlich. Die Reihung erfolgt nach dem Autonomiestatus der bezeichneten Werkgruppen und bezieht sich ausschließlich auf die Produktionsverfahren und nicht auf wirkungsästhetische Aspekte.

A) Fotografische Abstraktion / Abstraktion als Effekt

Bei den Werken der ersten Kategorie werden Realbildaufnahmen als Rohmaterial für diverse Abstraktionsprozesse herangezogen. (Die Bezeichnung „fotografisch“ wird verwendet um damit auf das „reale“ Ausgangsmaterial zu verweisen, im Bewußtsein dessen, dass gegenwärtig hauptsächlich Digital-Video und diverse algorithmische Filter zum Einsatz kommen.) Sowohl durch die Anwendung von fotomechanischen, -chemischen und -optischen Mitteln, als auch durch sämtliche Spielarten von elektronischen und digitalen Verfremdungsmethoden werden Bewegtbildaufnahmen einem abstrahierenden Manipulationsprozess ausgesetzt. Abstraktion dient hier vor allem dem Unkenntlich machen, dem Verzerren und Verfremden, etc. also weitestgehend dem Verstecken, Verbergen und Maskieren durch Strategien wie Unschärfen, Geometrisierung und dergleichen. Optische “Spezial-Effekte” werden eingesetzt um abstrahierende Bildverfremdungen hervor zu bringen, die auf eine bestimmte ästhetische Wirkungen abzielen.

B) Grafische Abstraktion / Abstraktion als Selbstzweck

Bei dieser Abstraktionsmethode handelt es sich um grafische Animationen, die auf autonomen, amimetischen Bildelementen beruhen und willentlich gestaltet werden. Unabhängig von den angewandten Methoden kontrollieren die Hersteller weitest gehend das Endprodukt. Die Spanne der möglichen Techniken reicht dabei von direkt auf das Filmmaterial gezeichneten Formen über den klassischen Trickfilm bis hin zu hochentwickelten Computeranimationsprogrammen. Die Bildelemente und Bewegungen sind bereits autonom und beruhen nicht auf fotografischen Vorlagen. Die Herstellung erfolgt jedoch „manuell“, trotz der Tatsache, dass gegenwärtig Maus und Tastatur Pinsel und Bleistift abgelöst haben. Farbe, Form und Bewegung stellen sich selbst dar. Diese Abstraktionsmethode besteht im Aufzeigen und Anwenden universaler formaler Gesetzmäßigkeiten.

C) Techno-syntaktische Abstraktion / Abstraktion als Maschinensprache

Hiermit sind Produktionsstrategien gemeint, die den Maschinencode möglichst ungefiltert in ein von Menschen wahrnehmbares Ereignis (zurück) übersetzen. Analoge und digitale Maschinen müssen um überhaupt funktionsfähig zu sein, bestimmten Regelsystemen und Befehlsstrukturen folgen, die dem Benutzer normalerweise nicht direkt zugänglich sind. Durch diverse – meist destruktive – Eingriffe werden diese techno-syntaktischen Strukturen aufgedeckt und künstlerisch verarbeitet. Es handelt sich um eine Maschinenästhetik „von innen“; es werden nicht mehr die äußeren Erscheinungsformen und Oberflächeneigenschaften von Maschinen, Motoren und dergleichen in Kunstwerke eingearbeitet sondern die interne „abstrakte“ Logik informationsverarbeitender Apparate wird für künstlerische Äußerungen herangezogen.

D) Algorithmische Abstraktion / Abstraktion als Programm

Gemeint sind hiermit zur Gänze digital hergestellte Bewegungsbilder, die sich nicht mit den oben beschriebenen Methoden erzeugen lassen. Im Gegensatz zur Kategorie “Grafische Abstraktion” kontrolliert hier ein Computerprogramm den ästhetischen Output. Algorithmen (mathematische Formeln, Zufallsgeneratoren, Chaossimulationen und dergleichen) produzieren Bildwelten und Bewegungsformen, die von Menschen vorsätzlich ohne Rechenmaschine so nicht hergestellt werden könnten. Die jeweiligen Computerprogramme werden ausschließlich für diesen Zweck geschrieben (bzw. existierende Programme werden modifiziert), wodurch sich diese Methode auch von der in Kategorie “Techno-syntaktische Abstraktion” beschriebenen unterscheidet. Der Künstler als Programmierer erarbeitet eine eigenständige (Bild – und Maschinen-)Sprache. Diese jüngste Methode unter den möglichen Abstraktionsstrategien stellt sicherlich die konsequenteste und progressivste Vorgehensweise dar, da nicht nur die Bildelemente sondern auch deren Produktion autonom und abstrakt geworden sind. Die mit generativer Software erstellten Animationen stellen den vorläufigen End- und Höhepunkt der formalen Autonomiebestrebungen in der abstrakten Bewegtbildkunst dar.

ABSTRAKTION AKTUELL

Abstraktion gilt zurecht als eine der größten geistigen Errungenschaften in der Kunst des 20. Jahrhundert. Es wurden Denk- und Arbeitsprozesse ausgelöst, die bis heute nicht abgeschlossen sind. Künstler haben kontinuierlich in allen Medien die vielfältigen formalen Möglichkeiten dieses Phänomens ausgelotet, ungeachtet der Tatsache, ob die betreffenden Strömungen gerade als populär gehandelt wurden oder nicht.

Mit dem Projekt ABSTRACTION NOW ist der Nachweis erbracht worden, dass das Prinzip Abstraktion in der Gegenwart ungebrochene Aktualität besitzt und in den diversen Medien, mit unterschiedlichsten Techniken und aus verschiedensten Beweggründen unvermindert Anwendung findet.
(Norbert Pfaffenbichler)

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