Notes on Film 03, MOSAIK MÉCANIQUE (Cinematic Version)

Film, 35mm, Cinemascope, B/W,
9 min 30 s, 2007
Musik/Music: Bernhard Lang
Realisierung/Realisation:
Norbert Pfaffenbichler

de

SYNOPSIS

Sämtliche Einstellungen des Slapstickfilms „A Film Johnnie“ (USA 1914) sind gleichzeitig in einem regelmäßigen Raster hintereinander angeordnet zu sehen. Jede Szene wird vom ersten bis zum letzten Kader, also von Schnitt zu Schnitt geloopt. Aufgrund der unterschiedlichen Einstellungslängen ergibt sich visuell ein pulsierender Polyrhythmus. Die Gesamtlänge des Mosaik Films entspricht exakt der Länge des Originals.

ALPHABETISIERUNG

Der Stummfilm wurde „verschriftlicht“. Die einzelnen Bewegungsbilder sind – wie lateinische Schriftzeichen – chronologisch von links nach rechts und von oben nach unten angeordnet. Der Film kann in seiner Gesamtheit wie von einer Buchseite “gelesen” werden.

RELEKTÜRE

Der Originalfilm wurde einer gründlichen Relektüre unterzogen. Das Ausgangsmaterial wurde dabei eigentlich nicht manipuliert, es wurden weder Bildmanipulationen vorgenommen, noch die Reihenfolge und die Längen der Einstellungen verändert. Titel, Zwischentitel, Einzähler und Nachspann sind selbstverständlich Teil des Mosaiks. Es wird lediglich ein alternativer, ein „panoramatischer“ Blick auf das Original geworfen. Der historische Groteskfilm wird in gewisser Weise analysiert und dadurch auch radikalisiert.

VERRÄUMLICHUNG

Es kommt im Rahmen dieses Experiments zu einer de facto “Verräumlichung” des zweidimensionalen Mediums. Das Mosaik erinnert formal auch an einen Querschnitt durch ein mehrgeschossiges, modernes Wohnhaus. Das Montageverfahren des Ausgangsfilmes wird zum Konstruktionsprinzip des Films. Die Montage wird zur Architektur, die Zeit wird zum Raum.

MULTIPLIKATION

Durch die simultane horizontale und vertikale Anordnung der Bewegungsbilder werden die Räume und die Figuren des Ausgangsfilms vervielfacht. Jede Einstellung wird zu einer eigenen Kammer im architektonischen Gesamtgefüge. Die zappelnden Figuren sind Gefangene in ihren Kästchen, verdammt zur ewigen mechanischen Wiederholung.

EGALITÄT

Jede Einstellung wurde gleich behandelt, unäbhängig von ihrer Länge und Bedeutung. Ein kurzer Zwischenschnitt nimmt den selben Raum ein wie eine lange Plansequenz. Dies führt zu einer deutlichen Verschiebung in der Wahrnehmung des filmischen Geschehens, die Aufmerksamkeit wird von der Dramaturgie auf die Syntax verlagert.

BLICKREGIME

Das zwingende Blickregime des Kinos wird gebrochen. Die Augen der BetrachterInnen können frei über die Leinwand gleiten. Der Fokus kann nach belieben auf einzelne Schleifen, aber auch auf das gesamte Raster gelegt werden. Auf den ersten Blick wirkt das Geschehen wie eine Ansammlung von Insekten in einem Versuchslabor. Erst nach und nach wird es möglich, einzelne Bildinhalte zu identifizieren. Die Handlung des Films ist auch nach längerem Hinsehen nur äußerst schwer zu entschlüsseln. Die simultane Präsentation aller Einstellungen überfordert erst einmal den menschlichen Wahrnehmungsapparat. Durch die Konzentration auf einzelne Bildsegmente wird der Film im Auge der BetrachterInnen subjektiv neu montiert. Das Ganze ist etwas Anderes als die Summe der Teile.

TITEL

Der Titel des Projektes ist nicht nur eine Beschreibung des Inhalts sondern auch ein Verweis auf zwei Klassiker des Avantgardefilms. Einerseits bezieht er sich auf das erste Werk von Peter Kubelka Mosaik im Vertrauen (A, 1955), andererseits auf den einzigen Film des kubistischen Malers Fernand Léger Ballet Mécanique (F, 1924). Léger montierte in seinem Werk erstmals eine Szene mehrmals hintereinander und “erfand” so den Filmloop. Die Verwendung eines Film mit Charlie Chaplin ist ebenfalls ein Verweis auf eine Sequenz von Ballet Mécanique. Léger entwarf und animierte für dieses Werk eine kubistische Chaplinfigur. Aufgrund dieser Referenzen erklärt sich auch die gleichzeitige Anwendung der deutschen und der französischen Schreibweise im Titel.

FOUND FOOTAGE

Häufig werden in found-footage-Arbeiten grobe Eingriffe am Material und inhaltliche Umdeutungen vorgenommen. Oft werden Ausschnitte aus vielen Filmen zu einem neuen Werk collagiert. Hierdurch unterscheidet sich dieses Projekt grundlegend von den meisten anderen Werken, die mit vorgefundenem filmischen Material arbeiten. Dieses Vorhaben stellt eine analytische Hommáge an das frühe Kino dar.

SERIALITÄT

Serialität ist einer der essentiellen Begriffe in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Vor allem in der Pop- und der Konzeptkunst wurde die Strategie der seriellen Produktion und Präsentation häufig angewandt. Im Rahmen des vorliegenden Projektes ist die Serialität aber keineswegs reiner Selbstzweck. Film ist technisch betrachtet eine elastische Rolle Celluloid, auf der viele Einzelbilder hintereinander angeordnet sind. Die Serialität ist also eine Grundlage des Mediums zur Erzeugung der Bewegungsillusion. Durch die polyfokale Präsentation wird das serielle Prinzip wieder sichtbar gemacht, wobei als kleinste Einheit nicht das statische, fotografische Einzelbild, sondern die bewegte, filmische Einstellung definiert wird.

MUSIK

Den Soundtrack zu diesem Filmprojekt hat der Komponist Bernhard Lang beigesteuert. Das bewegte Mosaik ist selbst Partitur und gleichzeitig Instrument des Soundtracks. Die visuelle Vielstimmigkeit wurde in eine akustische übersetzt. Die Komposition wurde völlig analog zur Bildebene hergestellt, wobei die Aufnahme eines mechanischen Klaviers als Rohmaterial diente. Jede Schleife bekommt eine spezifische Tonfolge zugeordnet, die exakt so lange dauert wie der Filmloop. Da sämtliche Schleifen unterschiedlich lang sind, ergeben sich beständig neue Klangkombinationen.

GROTESKFILM

Der Rückgriff auf einen historischen Slapstickfilm hat sowohl pragmatische als auch theoretische Gründe. Der verwendete Film hat eine perfekte Anzahl von Einstellungen und eine bewältigbare Länge von 09 min 15 sec. Bei Verwendung eines längeren Films mit wesentlich mehr Einstellungen würden die einzelnen Bildsegmente zu klein werden, um sie noch ausreichend gut auf der Leinwand erkennen zu können. Durch den Loopmodus und die Addition aller Einstellungen im Mosaik wird die groteske Komik noch einmal gesteigert und komplett ad absurdum geführt.

Die filmische Groteske bietet sich für ein derartiges Experiment mit historischem Material geradezu an. Die Burleske war wohl das populärste und am meisten verbreitete Genre in den frühen Tagen des Kinos. Die DarstellerInnen in diesen Filmen ähneln eher Cartoonfiguren als realen Menschen. Skurrile Typen bevölkern irreale Szenerien in der physische Gewalt ohne schwerwiegende Folgen bleibt. Den akrobatischen Bewegungen der Schattenfiguren auf der Leinwand haftet etwas eigenartig Mechanisches an. Das hochkontrastige, schwarzweisse Filmmaterial und die niedrige Bildrate (16 oder 18 Bilder pro Sekunde) sind die technischen Voraussetzungen für diesen Verfremdungseffekt, das überzeichnende Make Up, die absurden Kostüme und die fantastischen Sets vollenden das Bild einer grotesken Gegenwelt.

Aus heutiger Perspektive wirken die weiß geschminkten Darsteller durchaus unheimlich, der derbe Humor ist oft nur schwer oder nicht nachzuvollziehen. Bei den frühen Slapstickfilmen dauern meisten Einstellungen für heutige Sehgewohnheiten meist relativ lang. Gedreht wurde vor allem in Totalen und Halbtotalen, die nur selten von Großaufnahmen oder Details unterbrochen werden. Die Montage folgte in jenen Tage noch sehr simplen Regeln. Geschnitten wurde hauptsächlich dann, wenn eine Figur den Bildraum verläßt bzw. betritt. So bedeutet ein Bildschnitt in den meisten Fällen auch einen Ortswechsel in der Filmhandlung.

FILM IM FILM

„A Film Johnnie“ ist eine schlicht gestrickte, selbstreferentielle und selbstironische Komödie, deren Handlung sich in unterschiedlichen „filmischen Räumen“ abspielt. Der Groteskfilm beginnt mit dem bezeichnenden Textinsert „What he saw on the screen“. Die Eröffnungssequenz spielt sich in einem Kinosaal ab. Chaplin verliebt sich heftig in das „Keystone-Girl“ auf der Leinwand und läuft, nach dem er unsanft aus den Kino hinausbefördert wurde, in das (tatsächliche) Keystone-Filmstudio. Der Produzent Mack Sennett und der Schauspieler Roscoe „Fatty“ Arbuckle absolvieren Kurzauftritte als sie selbst. Der Tramp verursacht Chaos im Studio und behindert die Dreharbeiten, die gerade in Gange sind. Er wird wiederum hinaus geworfen. Das Finale des „Films im Film“ wird im Freien vor einem brennenden Einfamilienhaus gedreht. Chaplin, der die Situation falsch einschätzt, versucht die Angebetete zu retten und wird zu guter letzt von der verärgerten Schauspielerin verprügelt.

en

SYNOPSIS

All the shots of the slapstick comedy “A Film Johnnie” (USA, 1914) are shown simultaneously in a symmetrical grid, one after the other. Each scene, from one cut to the next, from the first to the last frame, is looped. A pulsing visual polyrhythm is produced as a result, because of the shots’ varying lengths. The total length of the mosaic film corresponds precisely to that of the original.

ALPHABETIZATION

Silent film was in a sense put in written form. The individual images are arranged in chronological order, from left to right and from the top down, in the same way as Latin letters. The entire film can be “read” as if from a page in a book.

REREADING

The original film was subjected to a thorough rereading. The original footage was not altered, there was no optical manipulation of the images, and the sequence and length of the shots were maintained. The opening credits, intertitles, the countdown before the film starts, and end credits are of course part of the mosaic. Solely a different, “panoramic” gaze was directed at the original. This historical grotesque film was in a way analyzed and, as a result, radicalized.

SPATIALIZATION

This experiment results in a de facto “spatialization” of the two-dimensional medium. Formally the mosaic resembles a cross section of a modern house with several stories. The process according which the original cut was arranged becomes the installation’s structural principle. Editing becomes architecture, and time becomes space.

MULTIPLICATION

As a result of the simultaneously horizontal and vertical arrangement of the moving images, the spaces and figures from the original film are multiplied. Each shot is turned into a separate chamber in an architectural structure. The fidgeting figures are prisoners caught in their boxes, doomed to never-ending mechanical repetition.

EQUALITIY

Each shot was treated equally, regardless of its length or significance. A brief intercut occupies the same amount of space as a long tracking shot. The result is a significant shift in the viewer’s perception of the film’s action, and his or her attention is shifted from the drama to the syntax.

VIEWING REGIME

A break is made with the cinema’s obligatory viewing regime. The audience’s eyes can move across the screen freely, focusing on individual loops or the grid as a whole. At first glance the movement appears to come from a collection of insects in a laboratory, with identification of individual elements becoming possible only gradually. Even after watching for some time, the film’s plot is extremely difficult to define. The simultaneous presentation of all the film’s shots is too much for an individual’s senses to process. When the viewer concentrates on individual segments, the film is reedited in his or her mind, and the finished product differs greatly from the sum of it parts.

TITLE

The project’s title not only describes its content, it is also a reference to two avant-garde film classics, Peter Kubelka’s first work, “Mosaik im Vertrauen” (A, 1955), and the only film made by Cubist painter Fernand Léger, “Ballet Mécanique” (F, 1924). In the beginning of Léger’s film a scene repeats several times, making it the first film loop ever. The use of a Charlie Chaplin movie is also a reference to a sequence in “Ballet Mécanique,” as Léger designed and animated a Cubist Chaplin figure for his work. These references explain the mixture of German and French words in the title.

FOUND FOOTAGE

Major changes to the material and reinterpretations of content are common in found-footage works. Excerpts from a number of different films are sometimes collaged to create a new work. This fact makes this project fundamentally different from most other works that make use of found footage, as it represents an analytical homage to early cinema.

SERIALITY

Seriality is one of the essential concepts in 20th century art. In pop and conceptual art in particular the strategy of serial production and presentation were employed frequently. They will not however be merely an end in itself in this project. Technically speaking film is a strip of celluloid with a sequence of individual images. Seriality is therefore one of the medium’s fundamental elements in creating an illusion of motion. The principle of seriality will be made visible through this polyfocal presentation, in which the smallest unit is not defined as the individual static photographic image but the moving film shot.

MUSIC

This film project’s soundtrack was contributed by the composer Bernhard Lang. The moving mosaic is itself a score and at the same time an instrument of the soundtrack. The visual polyphony was translated into acoustic form. The composition was produced in a way quite similar to the visual level, with a recording of a player piano being used as the raw material. Each loop was given a specific sequence of notes which lasts precisely the same amount of time as the film loop. Because all the loops are of different length, new combinations of sounds are created constantly.

GROTESQUE FILM

There are both pragmatic and theoretical reasons for the use of a slapstick comedy. This particular one has a perfect number of shots, and its running time is a manageable nine minutes and 15 seconds. Had a longer film with more shots been used, the individual segments would have been too short for easy identification on the screen. The loop mode and the addition of all shots to the mosaic emphasizes the grotesqueness of the film’s comedy, taking it to an absurd level.

Filmic grotesqueness is nearly ideal for this kind of experiment with historical material. Burlesque comedy was probably the most popular and most common genre in early cinema. The actors in these films were weird figures, more like cartoon characters than real humans, and they peopled unreal scenarios where physical violence never had serious consequences. There was something mechanical about the projected figures’ acrobatic movements on the screen. The high-contrast black-and-white film stock and the slow frame rate (16 or 18 frames per second) provided the technical basis for this effect, in which the exaggerated makeup, absurd costumes and fantastic sets complete the picture of a grotesque alternative world.

From our modern-day perspective these figures, their faces made up with white powder, seem extremely weird, and the crude humor is often difficult or impossible to understand. In the early slapstick films most shots were relatively long compared to the present day. Medium and long shots were the most common, punctuated by few if any closeups or detail shots . The film was then edited according to a few extremely simple rules. Cuts were for the most part made when a figure left or entered the picture, and as a result most cuts involved a change in location.

FILM WITHIN A FILM

“A Film Johnnie” is a simply made, self-referential and ironic comedy, its story playing out in a variety of “filmic spaces.” It begins with the insert “What he saw on the screen,” and the opening sequence is set in a movie theater. Chaplin falls madly in love with the Keystone Girl he sees, and after being roughly ejected from the theater, he enters the (actual) Keystone film studio. Producer Mack Sennett and actor Roscoe “Fatty” Arbuckle make brief appearances as themselves. The Tramp causes chaos at the studio and ruins a shoot which is underway when he shows up, and is again thrown out. The finale of the “film within a film” takes place outdoors in front of a burning house. Chaplin, misunderstanding the situation, tries to save his beloved and is beaten up by the angry actress for his trouble.